Ziele und Pläne – sie haben die Angewohnheit, sich zu verändern und weiter zu entwickeln, manchmal in guter Weise, manchmal auch nicht. Ich hatte eine Liste mit guten Vorsätzen, manche davon habe ich eingehalten, manche davon sehr schnell verworfen. Und bei dem ein oder anderen habe ich gemerkt, dass die Verwirklichung einfach nicht möglich ist, aus verschiedenen Gründen. Die Liste, wer sie noch nicht kennt, ist hier nachzulesen. Nachdem meine Zeit des Alleinreisens bald vorüber ist (bisher sind zwei Monate um, zwei Wochen bin ich noch allein) ist für mich die Zeit gekommen, mir wirklich Gedanken zu machen, inwieweit ich mich an meine Liste halten konnte.
Die Reise nach Neuseeland war seit so langer Zeit mein Traum, eigentlich seit ich zum ersten Mal von diesem Land am Ende der Welt, das ich bisher nicht kannte, gehört habe. Und das war noch bevor Herr der Ringe hier gedreht wurde. Viel zu viel Zeit für Sehnsucht zu wachsen und überhand zu nehmen. Ich hatte anfänglich Sorge, dass ich zu viel erwarte, dass Neuseeland die Hoffnungen, die ich darauf projiziere, nicht halten kann. Falsch gedacht, meine Erwartungen wurden immer wieder übertroffen. Sei es die Landschaft, die mich immer noch mit ihrer Schönheit umhaut. Seien es die Menschen, die mich immer wieder überraschen mit ihrer Offenheit und Freundlichkeit. Sei es die Intensität der Sonne, die mich immer wieder glücklich macht, sobald ich meine nackten Beine in ihren Strahlen ausstrecken kann. Immer wieder merke ich, dass meine Träume und Vorstellungen hier übertroffen werden.
Also, Traumverwirklichung: check
Ich habe keine Angst mehr, vor nichts. Ein bisschen gesunde Vorsicht, ja, aber keine Angst. Was immer passiert, wird passieren und mit Angst verbaut man sich zu viele Chancen. Es gibt zwar auch die Chance, dass es schiefgeht, aber was soll im schlimmsten Fall passieren? Das heißt nicht, dass ich mich morgen mit einem Fallschirm aus dem Flugzeug schmeiße, das liegt aber weniger an der Angst vor dem Absturz als daran, dass ich mit 400 bis 500 Dollar hier wirklich sinnvolleres machen kann, meiner Meinung nach.
Was die Angst in sozialen Momenten angeht: Es wird besser, mittlerweile springe ich kopfüber ins kalte Wasser und hoffe, dass mir jemand einen Rettungsring zuwirft. Meistens klappt das auch. Ich hab einfach eine gewisse Scheu vor fremden Menschen, ich lass lieber andere reden und beobachte. Die Menschen, die mich anziehen, sind meistens die, die eine gewisse Stärke und Überlegenheit ausstrahlen. Von denen kann ich was lernen, und die können mir vielleicht helfen, meine eigenen Barrieren abzubauen. Und selbst wenn nicht: Wenn ich von extrovertierten Menschen umgeben bin, dann fällt erstens nicht auf, wenn ich mich zurückhalte. Und zweitens kann ich dann ganz schmarotzerhaft etwas von der Aufmerksamkeit und Sympathie, die ihnen entgegen schlägt, abbekommen. Hier wird es langsam einfacher, die Barrieren runterzulassen. Ich baue keine Mauer aus Büchern, Musik und abweisenden Augen um mich auf, sondern lasse diese Schranken stückweise fallen. Ich öffne mich, und finde hier Menschen, die schnell genug und willens sind, einen Spalt zu erkennen, ihn zu nutzen und mit Fragen und Humor offen zu halten und zu vergrößern. Und diese helfen mir dabei, dass ich ganz ganz langsam in Minischritten zu einem etwas offeneren, etwas weniger stacheligem Menschen werde. So, dass vielleicht bald nicht mehr so viel Geschick und Gesprächsgewalt notwendig ist, um mich zu knacken. Und langsam die Angst davor schwindet, dass Menschen Wissen immer nutzen, um zu verletzen. Manche haben kein Interesse daran, einen klein zu machen und zu treffen. Und davon begegne ich hier zum Glück einer ganzen Menge.
Ich werde nie die Seele einer Party und der Mittelpunkt einer Bühnenshow sein, das will ich aber auch nicht mehr. Mir reicht es schon, wenn ich es hinkriege, nicht mehr so viele Menschen mit einem Stacheldraht aus unfreiwillig gespielter Arroganz von mir abzuschrecken.
Also, Ängste überwinden: für mich ein check
Ein Ziel, dass nach etwa drei Wochen neu dazu kam: „Don’t fret the calories“
Hostelleben ist Gift für die Figur. Fast mit jedem, mit dem man spricht, kommt man früher oder später auf das Essen und darauf, dass jeder beim Backpacken zunimmt. Die einen mehr, die anderen weniger. Aber da die Grundnahrungsmittel Nudeln, Reis und Toast sind, Fleisch teuer ist, Gemüse schwer zu transportieren ist von einem Hostel zum nächsten und es überall zu viele gute Süßigkeiten und zu viel Bier gibt, ist es komplett klar, dass auf dem Rückweg ein paar Kilo mehr mit im Flieger sitzen. Interessanterweise ist das aber für mich aktuell komplett akzeptabel und ein Preis, den ich gerne zahle. Gemeinerweise stehen in vielen Hostelbadezimmern Waagen, um die ich aber immer noch einen großen Bogen mache. Ganz so weit, dass ich es in Zahlen sehen will, traue ich meiner neuen Gelassenheit noch nicht über den Weg.
Ein Ziel, an dem ich bisher ganz klar gescheitert bin, betrifft die Zukunft. Meine drei Monate hier reichen mir nicht, dass kann ich jetzt schon sehen. Der Gedanke, dass es für mich Ende April weg geht, ohne dass ich weiß, wann ich wieder komme, macht mich jedes Mal zielsicher wirklich traurig. Ich habe noch kein Heimweh. Ich vermisse die Herzensmenschen, natürlich. Aber „zuhause“ als solches, das fehlt mir nicht. Ein eigenes Zimmer, eigenes Bad und eigene Küche wären natürlich nett, aber nicht, wenn ich dafür dieses Land und mein Nomadentum aufgeben muss. Daher fällt es mir wirklich schwer, mir Gedanken darüber zu machen, in welche Richtung ich mich in Deutschland bewerben will, jobmäßig. Ich will nicht daran denken, dass ich Anfang Mai wieder in Deutschland bin und mich mit Sachen wie Arbeitslosenmeldung, Jobsuche, Karriere etc beschäftigen muss. Jedes Mal wünsche ich mir, ich könnte mich stattdessen um Visaanträge kümmern und meine Jobsuche auf Wanaka und Dunedin konzentrieren …
Zum Teil hängt das bestimmt damit zusammen, dass ich hier in einem Ausnahmezustand der Freiheit bin. Ich glaube aber, dass ich mir auch wenn ich hier länger leben würde einen Teil dieser Freiheit bewahren könnte und würde. Ich weiß allerdings nicht, wie ich dieses Gefühl nach Deutschland retten kann. Vielleicht holt mich mittlerweile das Peter-Pan-Syndrom ein und ich will nicht erwachsen werden.
Zusammengefasst, Zukunftspläne und Zurückkehren: deutliches Fail